07.08.2016 | Texte & Aufrufe

Frauenkampf heißt Klassenkampf?

Von: Revolutionäre Perspektive Berlin

Positionierung zum patriarchalen Geschlechterverhältnis

Anlässlich des Diskussionsbeitrages der Roten Aktion Berlin zum Thema »Umgang mit Gewalt gegen Frauen (in linken Strukturen)« haben wir uns mit dem Patriarchat und dem Verhältnis von Feminismus und Marxismus auseinandergesetzt.

Wir teilen die Positionierung der Roten Aktion für ein konsequentes Vorgehen  gegen sexistisches Verhalten und patriarchale Gewalt. Wir unterstützen die Herangehensweise, sich parteiisch auf die Seite der Betroffenen zu stellen. Frauen sind zu Hause, am Arbeitsplatz und in der Öffentlichkeit von körperlicher und sexualisierter Gewalt durch Männer betroffen. In der EU haben 33 Prozent der Frauen seit ihrem 15. Lebensjahr körperliche und/oder sexualisierte Gewalt erfahren. Dies entspricht etwa 62 Millionen Frauen. Von frühester Kindheit an werden Menschen nach den Kategorien »männlich« oder »weiblich« eingeteilt und auf unterschiedliche Art und Weise sozialisiert. Bestimmte Eigenschaften und Verhaltenswesen werden entweder Jungen oder Mädchen zugeschrieben. Das in der patriarchalen Gesellschaft vorherrschende Männlichkeitsbild ist durch Zuschreibungen von Macht, Stärke, Härte, Überlegenheit gegenüber Frauen, Durchsetzungskraft und Leistung gekennzeichnet. In der patriarchalen männlichen Sozialisation ist die Auffassung von der Minderwertigkeit von Frauen und deren Verfügbarkeit für männliche Bedürfnisse enthalten. Dies schafft die Voraussetzungen für sexualisierte Übergriffe und Gewalt gegenüber Frauen.

In vielen marxistischen Ansätzen wird wie auch im Text der Roten Aktion von der »Frauenfrage« gesprochen und nicht vom Geschlechterverhältnis. Der Begriff Geschlechterverhältnis bringt jedoch wesentlich besser auf den Punkt, dass es sich um ein Herrschaftsverhältnis zwischen »Männern« und »Frauen« handelt. Kritik haben wir am Text an einigen Stellen, die sich auf eine traditionelle marxistische Position zur sogenannten Frauenfrage beziehen. Uns fehlt außerdem die Thematisierung von Heteronormativität und Zweigeschlechtlichkeit. Heterosexualität wird in der patriarchalen Gesellschaft als Norm betrachtet und Homosexualität, Trans- und Intersexualität als Abweichung diskriminiert, ausgegrenzt und verfolgt. Ein antipatriarchaler Kampf beinhaltet den Kampf gegen Homo- und Transphobie. Im Text der Roten Aktion wird an Geschlechterkategorien festgehalten, wenn davon gesprochen wird sich »neue Formen des Frauseins« anzueignen.

Trotz der genannten Kritikpunkte sind wir uns mit der Roten Aktion einig, dass eine stärkere Beschäftigung mit dem Thema Patriarchat in der linken Bewegung nötig ist und ein konsequenter Kampf gegen alle Formen von Sexismus und sexualisierter Gewalt geführt werden muss. Unsere bereits angerissenen Kritikpunkte wollen wir im Folgenden näher ausführen.

»Frauenfrage« als Klassenfrage im Marxismus

Die »Frauenfrage« wird von marxistischen Ansätzen als Teil der »sozialen Frage«, das heißt als Teil des Klassenkampfes betrachtet. Dabei dominieren die Thesen von Friedrich Engels, der die Unterdrückung von Frauen als Folge der Entstehung des Privateigentums betrachtet hat. Eine Befreiung der Frauen sei demnach auch nur mit der Abschaffung des Privateigentums möglich. Bei Engels heißt es in seinem 1884 erschienenen Text ›Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats‹: »Der Umsturz des Mutterrechts war die weltgeschichtliche Niederlage des weiblichen Geschlechts. Der Mann ergriff das Steuer auch im Hause, die Frau wurde entwürdigt, geknechtet, Sklavin seiner Lust und bloßes Werkzeug der Kinderzeugung.«[1] Engels sieht die Anhäufung von Reichtümern und die damit verbundene Änderung in der Erbfolge als Ursprung der Unterdrückung von Frauen an. Er übersieht dabei jedoch, dass es bereits zuvor eine geschlechtliche Arbeitsteilung und eine Unterdrückung von Frauen durch Männer gab, die sich zum Beispiel in der Praxis des Frauentauschs in den Stammesgesellschaften zeigte, welcher auch Raub von Frauen und Vergewaltigung einschloss.[2]

Die Unterdrückung von Frauen gab es lange vor dem Entstehen von Klassen und dem Privateigentum. Diese Position wird auch von August Bebel in seinem Werk ›Die Frau und der Sozialismus‹ von 1879 vertreten: »Soviel Gleichartiges aber in der Stellung der Frau und des Arbeiters sich nachweisen läßt, die Frau hat gegenüber dem Arbeiter das eine voraus: Sie ist das erste menschliche Wesen, das in Knechtschaft kam. Die Frau wurde Sklavin, ehe der Sklave existierte.« Seine Position rückte in der marxistischen Strömung allerdings in den Hintergrund.

Die patriarchalen Strukturen in der Ökonomie sind von den Klassenverhältnissen weder abgeleitet noch verursacht, auch wenn das Kapital sich diese zur Lohndrückerei zu Nutze macht. Die kapitalistischen Ausbeutungsverhältnisse, und das Patriarchat sind unterschiedliche gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse. Jedes dieser beiden Herrschaftsverhältnisse bedarf einer spezifischen Analyse. Das Patriarchat ist mehrere tausend Jahre älter als der Kapitalismus. Die Grundlage des Patriarchats ist die sexualisierte Gewalt gegen Frauen sowie die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung in der Erwerbsarbeit und in der häuslichen Arbeit und Erziehungsarbeit, die nach wie vor vorrangig von Frauen verrichtet wird. Das Patriarchat muss in seiner relativen Unabhängigkeit vom Kapitalismus als eigenständiges Herrschaftsverhältnis analysiert und bekämpft werden. Der Kampf gegen patriarchale Geschlechterverhältnisse wurde in der marxistischen Bewegung jedoch zu einem Nebenwiderspruch erklärt, der dem Klassenkampf untergeordnet werden müsse.

Clara Zetkin hat die marxistische Analyse bezogen auf die »Frauenfrage« maßgeblich geprägt. Sie vertrat 1895 in der Zeitschrift »Gleichheit« die Position: »Entgegen dem Charakter der bürgerlichen Frauenrechtelei ist eben das Ringen der proletarischen Frau für ihre volle Menschwerdung in erster Linie gar keine Frauenbewegung, sondern sozialistische Arbeiterbewegung«.[3] Für Zetkin bestand der Frauenkampf in einem »Kampf mit dem Mann ihrer Klasse gegen die Kapitalistenklasse«[4]. Des Weiteren heißt es bei Zetkin in ihrer längeren Rede 1896 auf dem Parteitag der SPD: »nicht die kleinlichen Augenblicksinteressen der Frauenwelt dürfen wir in den Vordergrund stellen, unsere Aufgabe muss es sein, die moderne Proletarierin in den Klassenkampf einzureihen.«[5]

Gegen Geschlechterstereotype und geschlechtshierarchische Arbeitsteilung

Aus heutiger Sicht muss kritisiert werden, dass Zetkin Geschlechterstereotype nicht konsequent hinterfragt hat. Sie hat sich zwar einerseits dafür eingesetzt, dass es keine Unterschiede nach Geschlecht bei der Erziehung von Kindern und Jugendlichen geben sollte, das heißt, dass Jungen genauso zur Mithilfe im Haushalt angehalten werden sollten wie Mädchen. Andererseits hielt sie in einer Rede auf dem Parteitag der SPD 1906 an der geschlechtlichen Arbeitsteilung fest: »Ich will dadurch keineswegs die Teilung der Arbeit zwischen den Geschlechtern beseitigt wissen, soweit dieselbe sozial notwendig ist, und im Hinblick auf das Ergebnis der Arbeit durch vererbte Disposition und Geschicklichkeit geboten erscheint, mag auch an dem Ererbten das an sozialen Einflüssen geschichtlich Gewordene ein gut Teil haben.«[6] In der Arbeiter*innenbewegung wurde der Fokus auf den Bereich der Produktion gelegt und der Reproduktionsbereich größtenteils ausgeblendet. Die geschlechtliche Arbeitsteilung wurde vielfach nicht in Frage gestellt.

Biologistische Denkweisen waren zu dieser Zeit allgemein verbreitet und finden sich zum Beispiel auch im Werk »Die Frau und der Sozialismus« von Bebel, in dem es heißt: »Andererseits ist die Frau von Natur impulsiver als der Mann, sie reflektiert weniger als dieser, sie ist selbstloser, naiver, daher ist sie von größerer Leidenschaftlichkeit beherrscht, die sich in der wahrhaft heroischen Aufopferung, mit der sie für ihr Kind eintritt oder für Angehörige sorgt und sie in Krankheitsfällen pflegt, im schönsten Lichte zeigt. In der Furie dagegen findet diese Leidenschaftlichkeit ihren häßlichen Ausdruck.«[7] In den 1990er Jahren haben Ansätze des dekonstruktivistischen Feminismus die Kategorie Geschlecht als soziales Konstrukt in Frage gestellt. Dass aus bestimmten – zugeschriebenen – körperlichen, psychischen und sozialen Merkmalen eine Vereinheitlichung von Individuen zu Geschlechtern folgt, ist kein natürliches, sondern ein gesellschaftliches Verhältnis.

Klassische marxistische Texte wie von Zetkin, Lenin und Bebel sind für eine Analyse der Geschlechterverhältnisse nicht ausreichend und müssen vielmehr kritisch hinterfragt werden. Der Marxismus kann nicht alle gesellschaftlichen Widersprüche erklären, sondern ermöglicht in erster Linie eine Analyse der Klassenverhältnisse. Wir denken es ist wichtig, feministische Kämpfe gegen das Patriarchat und Klassenkämpfe aufeinander zu beziehen, ohne den einen Kampf dem anderen unterzuordnen.

 

Einzelnachweise

  1. Engels, Friedrich (1985): K. Marx und F. Engels, Ausgewählte Werke, Verlag Progress, Moskau, Seite 513
  2. Lerner, Gerda (1997): Die Entstehung des Patriarchats, Campus-Verlag, Frankfurt am Main, Seite 74
  3. Niggemann, Heinz (1981): Emanzipation zwischen Sozialismus und Feminismus, Peter Hammer Verlag, Wuppertal, Seite 82
  4. Zetkin, Clara (1957): Ausgewählte Reden und Schriften, Dietz Verlag, Berlin, Seite 102
  5. Zetkin, Clara (1957): Ausgewählte Reden und Schriften, Dietz Verlag, Berlin, Seite 105
  6. Niggemann, Heinz (1981): Emanzipation zwischen Sozialismus und Feminismus, Peter Hammer Verlag, Wuppertal, Seite 206
  7. Bebel, August (1990): Die Frau und der Sozialismus, Dietz Verlag, Berlin, Seite 180

Tags: Frauenkampf, Sexismus

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